Dekanat Rüsselsheim

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        Integration

        Liebe Leserinnen und Leser,

        das Wort „Integration“ ist zwar nicht in „aller Munde“, jedoch seit Monaten ständig in Gebrauch. Integration von Flüchtlingen solle oder müsse nun vollzogen werden. In der Tat: „Integration“ ist überfällig, nach dem über Jahrzehnte an der Integration von Menschen, die nach Deutschland kamen, wenig oder gar kein Interesse vorlag.

        Jene Gastarbeiter, die in den 50iger Jahren kamen, bildeten bald eine Subkultur wie jene, die später aus der Türkei kamen. Das öffentliche Interesse und die Politik reagierten auch nicht, als in den 80igen und 90igern Menschen aus den ehemaligen Sowjetstaaten kamen. So leben seit vielen Jahren Menschen in Deutschland, die (fast) nur russisch sprechen, die in russischen Läden einkaufen, russische Musik hören, russisches Fernsehen laufen haben und zum russischen Frisör gehen. Spätestens mit unserer türkisch-stämmigen Bevölkerung, aber auch mit sonstigen Einwanderern aus dem vorderen oder mittleren Orient (z.B. jenen Menschen aus Pakistan), haben wir seit Jahrzehnten auch die muslimische Religion deutlich gegenwärtig. Erst seit den Terroranschlägen in New York nehmen viele Menschen in Deutschland davon überhaupt Notiz.

        Gleichzeitig haben wir mit der arabischen oder auch der pakistanischen Kultur Lebenshaltungen im Land, die weitgehend eine andere Vorstellung vom Umgang zwischen Frauen und Männern hat, als sie sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland entwickelt hat. Seit in den 80igern auch Menschen aus Nordafrika kamen (vor allem aus Eritrea), gibt es unter uns sogar eine Kultur, welche die Genitalverstümmelung an Mädchen pflegte und zum Teil noch pflegt. All dies hat nicht dazu geführt, über „Integration“ nachzudenken.

        Vielleicht ist die hohe Zahl der Flüchtlinge, die nun zu uns kommen, allein deshalb ein Segen, weil wir nun endlich beginnen, darüber ins Gespräch zu gehen, wie wir mit der Verschiedenheit von Menschen und ihren Vorstellungen in unserem Land umgehen können und sollen. Das Wort „Integration“ ist dazu jedoch nicht ausreichend, denn jeder und jeder versteht darunter etwas anderes. Während die einen damit meinen „die sollen so werden wie wir“, meinen die anderen damit „die sollen in unserer Gesellschaft gut funktionieren“ und wieder andere „die sollen uns nicht schaden und nicht auffallen“.

        Ein ganz heikles Thema bei der Integration sind „unsere Werte“. Meist werden damit die in unserem Grundgesetzt verankerten Wertvorstellungen gemeint, wie wir sie vor allem in den letzten Jahrzehnten gelernt haben zu deuten. Z.B. die Vorstellung von der Gleichheit von Mann und Frau. Die ist bei uns zwar noch nicht hergestellt, weil die Frauen noch immer bei gleicher Arbeit deutlich weniger verdienen und in Spitzenpositionen unterbesetzt sind. Aber immerhin hat sich da schon einiges getan, wenn wir bedenken, dass in der evangelischen Kirche Frauen Pfarrerin werden dürfen oder dass es schon knapp über 40 Jahre her ist, dass der Ehemann seine Zustimmung zur Berufstätig der Ehefrau geben musste. Diese kulturellen Errungenschaften gilt es vehement zu verteidigen, ebenso wie die Bemühungen um die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren.

        Wie aber begegnen wir nun jenem Syrer, der mit seiner 15jährigen schwangeren Ehefrau und seinem zweijährigen Kind kommt? Es wird höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn auch bei unseren türkischen Mitbürgern gibt es seit eh und je jene Fälle, dass der junge Mann in die Türkei fliegt, um dort die 14-Jährige zu heiraten, die mit Hilfe eines Geldbetrages zur 16-Jährigen wird und dann nach Deutschland nachkommt. Zu bedenken ist bei dieser Debatte, dass auch in unserer Kultur das Eherecht der römisch-katholischen Kirche besagt, 14-Jährige sind heiratsfähig.

        Wie begegnen wir Männern, die höchst verunsichert sind, wenn sie sich in einer Umgebung von Frauen aufhalten, die kein Kopftuch tragen, die öffentlich mit anderen Männern tanzen, die ohne BH herumlaufen und ihnen die Hand geben? Oder die genau so verunsichert sind, wenn andere Männer in kurzen Hosen Fußball spielen oder sich gar als schwul zu erkennen geben?

        Integration kann weder eine völlige Anpassung der Hinzugekommenen bedeuten noch ein funktionalisieren dieser Menschen für den Arbeitsmarkt ohne Rücksicht auf ihre Lebenseinstellungen. Integration muss meiner Überzeugung nach „Gespräch“ bedeuten, ein „offenes In-Kontakt-Gehen“, das weit über das gegenseitige Kennenlernen hinaus zum Ziel hat, ein respektvolles Miteinander zu leben. Und ein „Miteinander“ bedeutet immer auch eine Herausforderung für beide Seiten. Sie besteht in der Fähigkeit, Herz und Verstand füreinander zu öffnen. Die Geschichte zeigt: wo das gelingt, ist Einwanderung eine sehr nachhaltige Bereicherung für alle Seiten. Die hiesige evangelische Landeskirche, in welcher es neben der lutherischen Tradition bis heute Gemeinden gibt, die aus der reformierten, insbesondere der Tradition der Hugenotten geprägt sind, ist ein gutes Beispiel für bereichernde Integration.

        Ein gutes, gesegnetes Jahr 2016 mit viel anregendem Miteinander wünscht Ihnen

        Ihr
        Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim

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