Dekanat Rüsselsheim

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        Zu Unrecht in Abschiebehaft

        Liebe Leserinnen und Leser,

        wir leben in einem Rechtsstaat. Das dachte ich bisher. Inzwischen sind mir Zweifel gekommen. Ein Rechtstaat hat den hohen Anspruch, das Recht, das für alle gilt, allen gegenüber gleich zu achten. Dort, wo dies nicht durchgeführt wird, herrschen Willkür und Unsicherheit. Einzelne Gruppen oder Personen, welche sich auf Grund Ihres Geldes, Einflusses, ihrer politischen, wirtschaftlichen, militärischen oder institutionellen Position das Recht dazu herausnehmen, bestimmen dann nach ihren Vorstellungen, was sie selbst tun dürfen oder wie mit anderen verfahren wird. In einem solchen Staat will ich nicht leben müssen.
        Es gibt einen Bereich in unserem Staat, in dem wirkt die Handhabung auf mich tatsächlich ganz und gar willkürlich: im Bereich der Abschiebehaft. Unter bestimmten, im Aufenthaltsgesetzt geregelten Situationen dürfen Menschen in Abschiebehaft genommen werden. In der Praxis funktioniert dies offensichtlich nicht: etwa die Hälfte der Inhaftierten in Deutschland sitzt zu Unrecht in Abschiebehaft. Dies jedenfalls ist die Erfahrung von Peter Fahlbusch. Er ist Rechtsanwalt in einer Kanzlei in Hannover und beschäftigt sich seit 2001 mit Asylrecht. Da es keine offiziellen Zahlen über zu Unrecht in Abschiebehaft Inhaftierte in Deutschland gibt (warum auch immer), hat Peter Fahlbusch selbst eine Statistik über die 1800 von ihm vertretenen Fälle geführt. Selbst wenn nur ein Bruchteil aller Inhaftierten Abschiebe-Häftlinge in Deutschland rechtswidrig Gefangene sind, ist das ein Skandal.
        Welch ein Aufschrei ginge durch Deutschland und um die Welt, wenn offensichtlich werden würde, dass in irgendeinem Verbrechens-Bereich (von Diebstahl bis Mord) die Hälfte der Verdächtigen oder Verurteilten rechtswidrig im Gefängnis festgehalten werden würde. Im Bereich der Abschiebe-Haft dagegen gibt es einfach keine Zahlen – und niemand kümmert sich darum! Zumindest die Öffentlichkeit scheint sich in keinster Weise für die Betroffenen zu interessieren. Dabei ist die Behandlung von jenen Menschen, die in Deutschland kein Aufenthaltsrecht haben, in vielen, in zu vielen Fällen erschreckend. So ging es jedenfalls mir, als ich einen Vortrag über dieses Thema von Peter Fahlbusch erlebte. Allein schon die Inhaftierung von Mitmenschen, denen keine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland gewährt wird, ist an sich für mich äußerst fragwürdig. Diese Menschen haben nichts weiter „verbrochen“, als dass sie sich an einem Ort befinden, von dem „wir“ sagen, sie dürfen dort nicht sein. Sie werden mit Haft bestraft einfach dafür, dass sie da sind. Bis im Jahre 2014 Peter Fahlbusch beim Bundesgerichtshof erstritt, dass Menschen in Abschiebehaft räumlich getrennt von Menschen in Strafhaft sein müssen, saßen diese Menschen gemeinsam mit Verbrechern aller Art ein. Sie wurden genauso wie Verbrecher behandelt, ohne tatsächlich das Geringste verbrochen zu haben.
        Leider sind die Zustände in den seit 2015 eingerichteten separaten Abschiebehaft-Anstalten oft nicht entscheidend besser, als die in den Strafanstalten. Ich selbst habe etliche Jahre ehrenamtlich und auch einige Monate hauptamtlich in einer Haftanstalt gearbeitet. Einmal besuchte ich einen Häftling in seiner Zelle und ließ, gemäß der Vorschrift, die Zellentür ein Stück weit offen stehen. Plötzlich knallte die Stahltür zu und wurde von außen abgeschlossen. Zwar hatte ich einen Schlüssel, aber von innen haben Gefängnistüren keinen Griff und kein Schloss. Erst nach langem Klopfen wurde ich von dem Bediensteten befreit, der vorbei gekommen war und meinte, die Tür sei versehentlich offengelassen worden. Das Gefühl hilflos ausgeliefert zu sein hinter einer solchen blanken Stahltür, werde ich nie vergessen. Oft höre ich Aussagen, die einen Aufenthalt im Gefängnis als harmlos, ja sogar wohltuend darstellen. Nein, ich habe es bei anderen gesehen und an mir selbst gefühlt: auch nur ein paar Stunden „einzusitzen“ ist grausam. Es bleibt haften – ein Leben lang.
        Was tun wir den Menschen an, die zu Unrecht weggesperrt werden? - Und warum sind es so viele? Und warum werden diejenigen, die dafür verantwortlich sind, nicht zur Rechenschaft gezogen? Peter Fahlbusch berichtete, dass diejenigen, die in Abschiebehaft sitzen, überhaupt keine Lobby haben. Sie bekommen keinen Anwalt zur Seite – im Gegensatz zu allen anderen Inhaftierten. Sie müssen sich selbst um einen Anwalt kümmern, wozu sie aber in der Regel nicht in der Lage sind. Und falls sich tatsächlich ein Anwalt um einen Abschiebehäftling kümmert und z.B. das Geld für ihn aufgebracht worden ist, dann dauern die Rechtsverfahren derart lang, dass ihre Länge meist die Haft-Dauer bei Weitem überschreitet. Dennoch ist es wichtig für die Betroffenen, eine rechtliche Klärung herbei zu führen. Denn falls sie zu Recht inhaftiert sind, wird ihnen der Aufenthalt in der Haftanstalt in Rechnung gestellt. Das sind für „billige“ Anstalten 100 Euro pro Tag, meist jedoch mehr und für etliche beträgt der Tagessatz 300 Euro. Da kommt schnell eine Summe zusammen, den die Betroffenen nie aufbringen können.
        Die hohen Kosten lassen mich wiederum fragen: warum wird in unserem Land ein solch teurer Aufwand betrieben? Warum wird nicht nach günstigeren Lösungen gesucht? Für 200 Euro die Nacht bekomme ich ein stattliches Hotelzimmer und ein Zaun darum würde die Kosten kaum erhöhen. - Warum also ist uns dieses Klientel so viel wert? Oder geht es dabei doch um anderes, was es uns wert ist?
        Unser Innenminister hat die Sommerzeit genutzt, um ein Gesetz durchs Parlament zu bringen, welches die Möglichkeiten erweitert, Menschen, die kein Aufenthaltsrecht haben, schneller zu inhaftieren. Es mag sein, dass er damit den Rechtsstaat unterstützt, der durch die bisherige Praxis für mich unfassbar in Frage gestellt ist. Seine Politik beantwortet jedoch nicht die Frage, warum der Steuerzahler derart viel Geld für Abschiebehäftlinge ausgeben soll, geschweige denn die menschliche Frage.

        Ein empfindsames Herz für Unrecht wünscht sich und Ihnen - Ihr Wilfried Ritz, Pfarrer in Ginsheim

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