Kirche für Gerechtigkeit und Frieden
Frieden entwickeln - Am Beispiel Kenia - Eine Studienreise der EKD
Heidi Förster02.10.2020 hf Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
April 2019: Synodale trafen friedensaktive Partner von "Brot für die Welt" in Kenia
Anlässlich des 60jährigen Jubiläums von Brot für die Welt lud Dr. h.c. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, Mitglieder der EKD-Synode im Vorfeld der „Friedenssynode“ zum Besuch friedensaktiver Partnerorganisationen in Kenia ein. Elf Synodale begaben sich Anfang April mit auf die Reise nach Ostafrika (diese wurde in einem kurzen Videofilm dokumentiert). Bei der „Diakonie Katastrophenhilfe“ in Nairobi erhielten sie Informationen zur Situation der Menschen in Flüchtlingslagern (z.B. Dadaab, wo ca. 230.000 Schutzsuchende aus Somalia teilweise in dritter Generation im Provisorium leben) und im Überschwemmungsgebiet Mosambik, wo die Zerstörung von Lebensgrundlagen massive Gesundheitsbedrohungen zur Folge hatte. Ein Workshop, der von Dr. Agnes Abuom (Vorsitzende des Weltkirchenrats) moderiert wurde, vermittelte umfassende Einblicke in das friedenspolitische Engagement christlicher Organisationen auf dem afrikanischen Kontinent. Neben der Hauptstadt besuchten die Synodenmitglieder ländliche Gebiete in der Küstenregion. Der Anglican Development Service“ (ADS Pwani, Entwicklungsabteilung der Anglikanischen Kirche in Kenia), eine langjährige Partnerorganisation von Brot für die Welt, koordiniert dort seit 1991 Gemeindeentwicklungsprojekte in den Bezirken Kwale, Kilifi, Taita-Taveta, Tana River, Mombasa und Lamu.
Entwicklungsdefizite und Gewaltpotenziale
Die Küstenregion Kenias ist besonders benachteiligt und die Infrastruktur jenseits touristischer Einrichtungen äußerst schwach entwickelt. Entwicklungsindikatoren zeigen vor allem beim Zugang zu sozialen Dienstleistungen (Erziehung, Gesundheit und Wasser) große Defizite. Unklare Landrechte und fehlende Rechtstitel an Grund und Boden, Zuwanderung, staatliche An- und Umsiedlung von Menschen aus anderen Landesteilen begünstigen soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Zugang zum „Recht“ wird durch Korruption staatlicher Institutionen und Gerichte erschwert. Seitdem kenianische Truppen 2011 in Somalia intervenierten kommt es immer wieder zu Vergeltungsmaßnahmen somalischer Milizen, häufig auch gegen religiöse Einrichtungen. Misstrauen belastet das Zusammenleben der christlichen und muslimischen Gemeinden. Die Radikalisierung von Jugendlichen trägt zu weiterer Polarisierung zwischen den Religionsgruppen bei. Steigende Unsicherheit und Überfälle haben wirtschaftliche Aktivitäten eingeschränkt und einen Rückgang des Tourismus bewirkt. Armut und Ausgrenzung treffen Jugendliche und Frauen besonders hart. Frauen tragen die Hauptlast als Ernährerinnen der Familien, sie erledigen etwa 80% der landwirtschaftlichen Tätigkeiten. Auch in anderen produktiven Bereichen ist die Teilnahme der Männer sehr gering.
Kombination von Entwicklungs- und Friedensarbeit
Das Engagement von ADS Pwani zielt auf einkommensschaffende Maßnahmen und eine Verbesserung der Ernährungssituation. Darüber hinaus bemüht man sich, Möglichkeiten der Selbsthilfe – v.a. auch von Frauen und Mädchen - zu stärken und gewaltsame Konfliktaustragung zu reduzieren. In der Gemeinde Garashi engagiert sich ADS mit einer Kombination entwicklungs- und friedenspolitischer Ansätze, die landwirtschaftliche Produktion, Wasserversorgung und Infrastruktur verbessern, den Zusammenhalt in der Gemeinde stärken und Alternativen zum gewaltsamen Konfliktaustrag aufzeigen soll. Es geht auch darum, Gewalt in der Familie und Gewaltkriminalität zu reduzieren. Gemeindemitglieder berichteten vom Rückgang von Gewaltverbrechen, auch von alltäglicher Gewalt gegen Frauen, selbstbewussterem Engagement der Menschen für eigene Rechte und Einsatz für Belange der Gemeinde. Gemeindevertreterinnen aus dem Bezirk Magarini berichteten über die Rekrutierung Jugendlicher durch al-Shabaab Milizen, ethnische Konflikte, genderbasierte Gewalt und interreligiöse Gegensätze. Sie diskutierten Ansätze zur Deeskalation durch Dialog und Möglichkeiten der Herstellung von Resilienz auf Gemeindeebene. Schließlich kam die Reisegruppe noch mit dem „Coast Interfaith Council of Clerics“ (CICC) in Watatu zusammen, um sich über die Aktivitäten von Glaubensgemeinschaften in der Gewaltprävention und in der konstruktiven Bearbeitung von Konflikten zu informieren. Dieser „Interreligiöse Rat“ wurde von Mitgliedern christlicher und muslimischer Gemeinschaften und traditionellen Glaubensrichtungen angesichts von gewaltsamen Ausschreitungen zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen gegründet. Er bemüht sich um Stärkung der Dorfgemeinschaften und Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungen auf lokaler Ebene in Kombination mit Ernährungssicherung. So konnte der Rat maßgeblich zur Deeskalation der Konflikte beitragen und neuen Gewaltausbrüchen vorbeugen.
Fazit
Die Eindrücke, die von den Reisenden in diversen Reflexionsrunden geteilt wurden, lassen sich ungefähr so zusammenfassen:
- Um gewaltsamer Konfliktaustragung vorzubeugen und den Zusammenhalt in den Gemeinden zu stärken, bedarf es einer Kombination von Maßnahmen für Ernährungssicherheit, für Infrastrukturaufbau und für Bildung; Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit müssen also zusammengebracht werden, um präventive und nachhaltige Wirkung zu erzielen; hier sich hat das Leitbild des „Gerechten Friedens“ in der Praxis manifestiert.
- Maßnahmen zur Gewaltprävention sind dann erfolgversprechend, wenn sie frühzeitig ansetzen und sich auf die Überwindung der Ursachen von Gewaltkonflikten (Konflikttransformation) richten; religiöse WürdenträgerInnen können bei der Transformation von Konflikten eine wichtige Rolle spielen, wenn sie gemeinsam handeln und die Ursachen in den Blick nehmen.
- Friedens-und Entwicklungszusammenarbeit müssen gender-sensibel gestaltet und Frauen in ihren Potenzialen des Friedenshandelns unterstützt werden.
- Gleichzeitig werden wichtige Erfolge zur Sicherung der Lebensgrundlagen und des Friedens auf lokaler Ebene, die die Gruppe vor Ort erleben konnte, von den Auswirkungen des Klimawandels wieder unterlaufen: die besuchten Regionen sind massiv von außergewöhnlichen Dürren und Ernteausfällen bedroht.
- Fazit: Zum Handeln für „gerechten Frieden“ gehört untrennbar der Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung, und es ist nötig, die eigenen Anteile an den Strukturen des Unfriedens – z.B. den Beitrag unserer Wirtschaftsweise zum Klimawandel, unfaire Handelsbeziehungen und Agrarpolitik, die zur Verarmung von Gesellschaften im globalen Süden beitragen, zu erkennen, zu skandalisieren und zu überwinden.
von Dr. Martina Fischer
Referentin Frieden und Konfliktbearbeitung
Brot für die Welt
Reiseteilnehmerin
zum gesamten Blog-Beitrag vom 14.11.2019
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